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#Interview – Der Boys’Day und der Männeranteil in den Apotheken

Interview mit Sascha Meinert und Jonas Hoff vom Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.

Der Boys’Day ist ein Zukunftstag, der Schülern Berufe vorstellt, in denen Männer unterrepräsentiert sind. Dazu gehören die Apothekenberufe Apotheker*in, PKA*in und PTA*in. Dieses Jahr ist der Boys’Day am 27. April 2023.

Wie ist die Idee zum Boys’Day entstanden?

Sascha Meinert: Zur Vorgeschichte muss man wissen, dass es schon seit 2001 den Girls’Day gab, der ganz erfolgreich angelaufen ist. Mädchenförderung zu betreiben, war historisch naheliegend. Bereits vor der Jahrtausendwende war es ein großes Thema, Frauen in Technikberufe zu bringen. Deshalb entstand zuerst der Girls’Day.

Sascha Meinert, Fachreferent im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit
Sascha Meinert, Fachreferent im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit

In vielen Schulen kam natürlich die Frage auf: Was machen die Jungen denn in der Zeit, während manche oder alle Mädchen aus der Klasse weg sind und als Berufsorientierung spannende Sachen machen? Die Jungen hatten Unterricht, Vertretung oder frei. Aus dieser unklaren Situation heraus haben einzelne Schulen mit dem Boys’Day angefangen und ihn in den Klassen selbst organisiert. Der Aachener Verein Ax-o e.V., der Kinder und Jugendliche bei ihrer Identitätsbildung begleitet und unterstützt, hat den Boys’Day zum ersten Mal größer aufgezogen. Die zuständigen Förderministerien und wir im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. haben die Entwicklung wahrgenommen. Der Girls’Day wird ja auch bei uns im Kompetenzzentrum organisiert.

Jungenförderung, Jungenarbeit und der sozialpädagogische Umgang mit Jungen waren noch relativ neu in Deutschland, aber parallel zum Girls’Day gab es das Projekt „Neue Wege für Jungs“. Mit dem Ziel, Akteurinnen und Akteure in diesem Bereich zu vernetzen und den Austausch zu fördern, wurden Fachtagungen zur gegenseitigen Weiterbildung organisiert. Weil hier die Fachexpertise zu Jungenpublikum, Jungenförderung, Berufsorientierung und Lebensplanung gegeben war, hat das Projekt „Neue Wege für Jungs“ einen Boys’Day konzipiert und auf den Weg gebracht.

Das Thema Jungenpädagogik war wenige Jahre später überall in Deutschland akademisch verankert. Viele Leute arbeiten professionell in diesem Bereich oder haben es als beruflichen Schwerpunkt in ihrer sozialen Arbeit. Es gibt Landesarbeitsgemeinschaften und eine Bundesarbeitsgemeinschaft zu Jungenarbeit. Das „Neue Wege für Jungs“-Projekt hat sich also selbst überflüssig gemacht, weil die Vernetzung auf professioneller Ebene überall in Deutschland erfolgreich entstanden ist. Daraus gewachsen ist der Boys’Day als Projekt.

Seit wann gibt es den Boys Day?

Jonas Hoff: Die Entscheidung wurde 2010 getroffen. Der erste Boys’Day-Aktionstag war am 14. April 2011.

Boys’Day Berufe sind Berufe mit weniger als 40 Prozent Männern.

Bringt der Boys Day etwas?

Jonas Hoff, Fachberater im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit
Jonas Hoff, Fachberater im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit

Jonas Hoff: Ja, auf jeden Fall. Durch den Boys’Day wird gesellschaftlich thematisiert, dass auch Jungen und Männer in die Berufe gehören, in denen sie aktuell in geringer Zahl vertreten sind. Unsere hauseigene Evaluation hat gezeigt, dass mehr als ein Drittel, nämlich knapp 36 Prozent der Jungen, die am Boys’Day teilnehmen, sich danach sehr gut vorstellen können, für die entsprechende Stelle beim selben Arbeitgeber ein Praktikum, eine Ausbildung oder ein Studium zu starten. Die Bereitschaft, später in Boys’Day-Berufen tätig zu werden, wird durch den Boys’Day auf jeden Fall gesteigert.

Haben sich die Interessenslagen der Jugendlichen verändert?

Sascha Meinert: Die Lebensplanung sowie Abitur und Studium haben einen höheren Stellenwert bekommen. Die Jugend macht sich mehr Gedanken darüber, wie es in den nächsten Jahrzehnten weiter gehen wird. Man sieht die Entwicklung an den Abschlusszahlen beim Abitur und daran wie voll die Unis gerade werden, im Vergleich zu handwerklichen Berufen.

Was die Jugendlichen heute am Berufsleben interessiert, hat sich auch geändert. Studien zur Generation Z zeigen eine neue Gewichtung der Werte. „Geld und Bezahlung“ ist nicht mehr wie früher allein der bestimmende Faktor.

Flexibilität im Sinne von Möglichkeiten zur Teilzeit oder teilzeitnaher Vollzeit ist ein großer Wert geworden. Freizeit und Privatleben werden stärker gewichtet als früher im Verhältnis zum Berufsleben.

Bei Teilen der Jugend ist Nachhaltigkeit ein großer Wert. Grüne Berufe sind im Kommen.

Man möchte in der beruflichen Tätigkeit einen Sinn finden.

Das Attribut „digital“ ist bei der heutigen Jugend selbstverständlich. Dass Sachen nicht digital passieren, z.B. mit Fax-Geräten, wird bei der Jugend von heute nicht mehr gern gesehen.

Ein bekanntes Problem ist eine Art von Übersättigung. Alles in der Alltagswelt der Jugendlichen bietet so viele Möglichkeiten, dass es schwieriger geworden ist, sich zu entscheiden und festzulegen. Nicht nur bei der Berufswahl, sondern auch bei alltäglichen Dingen wie der Auswahl an Musik oder Serien.

Entscheidungsschwierigkeiten sind oft kombiniert mit einer gewissen Konfliktscheu. Da die Jugendlichen die Vielfalt der Möglichkeiten sehen, müssen sie sich mit Konflikten im Arbeitsleben nicht so viel beschäftigen.

Die Generation Z will mitbestimmen. Das Sprichwort „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ ist Jugendlichen von heute nicht mehr so nah. Sie wollen nicht eingenordet werden in der Ausbildung, sondern mit Respekt behandelt werden.

Der Wunsch nach Mitbestimmung in Kombination mit Konfliktvermeidung gilt nicht für alle Jugendliche, ist aber ein allgemeiner Trend. Es kommt vor, dass Jugendliche nach einem Streit einfach nicht mehr zu ihrer Ausbildungsstelle kommen, denn sie haben die Alternative, sich beim nächsten Arbeitgeber zu bewerben.

Feedback ist sehr erwünscht. Wer mitbestimmen und mitreden will, möchte Feedback haben. Die konfliktfreie Variante wäre, nur positives Feedback zu geben, das geht natürlich nicht immer.

Dazu kommt ein Bedarf nach Struktur. Im digitalen Leben ist alles offen und wild fluktuierend, aber im analogen Leben sind Jugendliche erfreut, wenn sie auf konkrete Regelungen und Strukturen treffen, an denen sie sich orientieren können. Beispielsweise wünschen sie sich klare Regeln zu Arbeitszeiten, die nicht jeden Tag neu mit den Vorgesetzen ausdiskutiert werden müssen.

Es gibt einen Bedarf nach Effizienz. Jugendliche wünschen nicht unnötig viel Hin und Her bei Absprachen, auch keine Schriftsprache. Im Bewerbungsprozess ist das Anschreiben total unbeliebt. Als Zusatz zum Abschlusszeugnis und dem Lebenslauf wird es als überflüssig angesehen, ein Anschreiben aus dem Internet zu kopieren und beizufügen. Die Bedeutung eines guten, selbstgetexteten Anschreibens ist für viele Jugendliche nicht nachzuvollziehen, es erscheint ineffizient. Strategisch schlau ist es natürlich, ein richtig gutes Anschreiben zu erstellen, um Besonderheiten wie Alleinstellungsmerkmale hervorzuheben. Aber aus der Lebenseinstellung der Jugendlichen wird es eher als effizient angesehen, den Link zu ihrem LinkedIn-Profil zu schicken. Dort steht für jeden sichtbar, was man bisher gemacht hat.

Interview mit Anica Richardt von Berufswahlhelden

Gibt es Trendberufe?

Jonas Hoff: Es gibt auf jeden Fall Trendberufe, z.B. Kfz-Mechatroniker, Fachinformatiker, Anlagentechniker für Sanitär und Heizung oder Industriemechaniker. Das sind keine Boys’Day-Berufe, sondern Berufe, die Jungs im Moment noch prozentual am meisten ausüben. Beim Boys’Day unterscheiden wir nicht in konkreten Berufen, sondern in Kategorien. Die beliebtesten Kategorien sind „Kita und OGS“, die Alten- und Seniorenpflege sowie Angebote von Bildungseinrichtungen. Kita und OGS (Offene Ganztagsschule) sind in einer Kategorie zusammengefasst, weil die Berufe wie z.B. Erzieher:in in beiden Kategorien ausgeübt werden können. Diese Kategorien werden beim Boys’Day in Hamburg am häufigsten von den teilnehmenden Schülern gewählt.

Sascha Meinert: Was angeboten wird, kann auch wahrgenommen werden. Was nicht angeboten wird, kann nicht wahrgenommen werden. In der Kategorie „Kita und OGS“ wird viel für den Boys’Day angeboten. Die Apotheken können demnach ihre Beliebtheit beim Boys’Day steigern, indem sie mehr Angebote schaffen.

In welchem Zeitraum erfolgen die Eintragungen der Arbeitgeber in das Boys’Day Radar?

Sascha Meinert: Die Einträge, die es am Anfang des Jahres gibt, sind von sehr schnellen und gut organisierten Arbeitgebern. Diese sind schnell wieder weg, weil die ganz schnellen und gut organisierten Schüler sich bereits in diesem Zeitraum anmelden. Ab Mitte Februar werden es nach und nach immer mehr Einträge bis einen Tag vor dem Boys’Day im April. Unsere Erfahrung ist, dass auch am letzten Tag immer noch neue Einträge kommen, weil die einzelnen Anbieter:innen ihre eigene Planung und Kapazitäten haben. Der Arbeitgeber muss überlegen, ob und wie man mitmachen will, wer im eigenen Haus zuständig sein soll und wie viele Jungs man gleichzeitig aufnehmen kann. Je nach dem wie lang der Planungsprozess dauert, erfolgen die Einträge früher oder später.

2021 waren 89,3 Prozent der Beschäftigten in Apotheken weiblich

Warum ist der Männeranteil bei den Beschäftigten in Apotheken niedrig?

Sascha Meinert: Meine Vermutung ist, dass der Beruf ein paar Aspekte hat, die gegen das traditionelle Bild von Männlichkeit zu sprechen scheinen.

  1. Die Beschäftigung in der Apotheke ist im weitesten Sinne ein Dienstleistungsberuf, und Dienstleistung im Allgemeinen ist ein eher weiblich dominierter Aspekt im Berufsleben in Deutschland. Es gibt viele Dienstleistungsberufe, um die wir uns beim Boys’Day kümmern.
  2. Gesundheitsfürsorge für die Bevölkerung ist Care-Arbeit, die in Deutschland auch eher weiblich als männlich assoziiert ist.
  3. Der dritte Faktor ist der Umgang mit der eigenen Gesundheit. Für junge Männer ist es untypisch, ein Gesundheitsbewusstsein zu haben. Dem Klischee nach gehen Männer nicht zum Arzt, daher ist es für sie nicht naheliegend, in der Apotheke zu arbeiten. Solange alles gut läuft, blenden Männer von Pubertät bis in die Dreißiger gerne das Gesundheitsthema aus und beschäftigen sich oft erst im Alter von über 40 Jahren regelmäßig damit.

Aus diesen Gründen sind Apothekenberufe kein unmittelbar männlich besetztes Feld. Die Anschauungen sind zum Glück heute im Wandel.

Gibt es Vorurteile gegen den Beruf? Wie nehmen Männer die Apothekenberufe wahr?

Jonas Hoff: Es gibt nicht konkret DAS Vorurteil gegen diese Berufsgruppe, aber vermutlich läuft sie unter dem Radar. Sie ist also nicht so bekannt, da Gesundheit nicht zu den Bereichen gehört, in die Männer sich sehr einarbeiten und die in ihrem Interessenbereich liegen. Daher ist das Bild auch ein anderes als die Realität. Der Verkauf von Medikamenten wird wahrgenommen. Aspekte wie die Chemie, das Labor, die medizinische Beratung oder die wirtschaftliche Planung sind nicht so bekannt, obwohl sie das Berufsfeld für Männer interessanter machen könnten. Die Komplexität und Vielfalt der Berufsbilder in der Apotheke sind der breiten Öffentlichkeit vielleicht nicht so geläufig, zumindest nicht, wenn man sich nicht intensiv damit beschäftigt.

Welche Trends beobachten Sie im Bezug auf die Apothekenberufe?

Sascha Meinert: Interessant ist, dass Berufe mit menschlichem Kontakt den Jugendlichen heute attraktiv erscheinen. Kontakt mit Menschen ist in der Apotheke auf jeden Fall gegeben. Sinnvolles Arbeiten ist den Jugendlichen wichtig. Berufe in der Gesundheitsbranche könnte man als sinnhaftes Arbeiten wahrnehmen bzw. präsentieren. Weitere wichtige Faktoren sind:

  • Ein angenehmes Arbeitsklima: Das müsste jede Apotheke selbst für alle Beschäftigen schaffen.
  • Arbeitsplatz-Sicherheit: Apotheken bieten gute Perspektiven wie einen unbefristeten Arbeitsvertrag und nur wenige befristete Projekte. Die Karriere in der Apotheke erfordert in Hamburg keinen Ortswechsel, anders als eine akademische Karriere, wo man nicht weiß, in welcher Stadt man in zehn Jahren ist. Falls eine Apotheke schließen muss, hat man gute Chancen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Man kommt nicht in eine prekäre Situation, somit ist Zukunftssicherheit gegeben.
  • Gute Erreichbarkeit: Im Stadtstaat Hamburg haben Apotheken den Vorteil, dass es überall welche gibt. Lange Arbeitswege mit dem Auto machen hier keinen Sinn.

Was wäre aus Ihrer Sicht wichtig, damit die Apotheke ein Berufsfeld für Männer wird?

Sascha Meinert: Die naheliegendste Idee aus unserer Sicht ist natürlich, am Boys’Day teilzunehmen. So kann man Sichtbarkeit herstellen, um ganz konkret zu zeigen, was für ein Arbeitsort die Apotheke ist. Was passiert in der Apotheke? Was ist da Spannendes los? Wenn man es macht, ist es wichtig, nicht nur teilzunehmen, sondern auch gute Boys’Day-Angebote zu entwickeln. Wir vom Kompetenzzentrum beraten gern zu Text und Bild bei der Angebotserstellung. Die Apotheken könnten sich Best-Practise-Beispiele sowohl für den Boys’Day als auch für Schülerpraktika überlegen. Wenn Apotheken am Boys’Day teilgenommen haben, ist es wichtig, den Kontakt zu halten, um zukünftige Azubis für sich zu gewinnen.

Bringt der Boys’Day etwas für den Männeranteil in den Apothekenberufen?

Jonas Hoff: Bei den Auszubildenden zum PTA gab es 2011, als der Boys’Day gestartet ist, bundesweit neun Prozent Männer, und 2023 knapp 15 Prozent. Bei den Auszubildenden zum PKA waren 2011 nur drei Prozent Männer im Gegensatz zu zehn Prozent 2023. Eine erfolgreiche Entwicklung ist also deutlich zu erkennen, aber es gibt noch Steigerungspotential für die Apotheken.

Vielen Dank für das Gespräch.